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Israel hält Grenzübergang Rafah unter Kontrolle - Gaza-Verhandlungen unter Hochdruck

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Palästinenser in Rafah fliehen vor Kämpfen Bild: AFP

Ungeachtet zahlreicher Warnungen vor einem massiven Militäreinsatz in der Stadt Rafah hat die israelische Armee die im Gazastreifen gelegene Seite des dortigen Grenzübergangs unter ihre Kontrolle gebracht.

Ungeachtet zahlreicher Warnungen vor einem massiven Militäreinsatz in der Stadt Rafah hat die israelische Armee am Dienstag die im Gazastreifen gelegene Seite des dortigen Grenzübergangs unter ihre Kontrolle gebracht. International herrschte große Sorge angesichts des militärischen Geschehens im Gazastreifen. Unterdessen traf eine israelische Delegation nach Angaben von Regierungschef Benjamin Netanjahu zu Gesprächen über eine Waffenruhe und die Freilassung von Hamas-Geiseln in Kairo ein. 

Die israelischen Streitkräfte übernahmen nach eigenen Angaben die "operative Kontrolle" über die palästinensische Seite des Übergangs zu Ägypten. Die Streitkräfte erklärten zum Einsatz am Grenzübergang Rafah, dieser sei "sehr begrenzt" und richte sich gegen "sehr spezifische Ziele". 

Zuvor hatte die Armee die an der Grenze zu Ägypten gelegene Stadt in der Nacht aus der Luft angegriffen, wie ein AFP-Reporter berichtete. Mitarbeiter zweier Krankenhäuser in der Stadt sprachen von insgesamt 27 Todesopfern. Ein Sprecher der UN-Hilfsorganisation OCHA erklärte nach der Übernahme des Übergangs Rafah durch Israel, ihren Mitarbeitern sei der Zugang in den Gazastreifen von israelischer Seite aus verwehrt worden.

Am Montag hatte Israel die Bewohner im Osten Rafahs zur Evakuierung aufgerufen. In der Stadt haben mehr als eine Million Menschen Zuflucht vor den Kämpfen zwischen Israels Armee und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas gesucht.  

Die israelische Regierung hält trotz massiver internationaler Kritik an ihren Plänen für eine Bodenoffensive in Rafah fest und rückte bereits in den Osten Rafahs vor. Sie bezeichnet die Stadt im Süden des Gazastreifens als letzte verbliebene Hochburg der Hamas.

Am Sonntag hatte der bewaffnete Arm der Hamas den Grenzübergang Kerem Schalom zwischen Israel und dem Gazastreifen mit Raketen beschossen und dabei vier israelische Soldaten getötet. Israel schloss den Grenzübrgang daraufhin. Am Dienstag feuerten die Essedin-al-Kassam-Brigaden eigenen Angaben zufolge erneut Raketen auf Soldaten am Grenzübergang Kerem Schalom ab. 

Indes ging das Tauziehen um eine Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gazastreifen und eine Freilassung der in das Palästinensergebiet verschleppten Geiseln weiter. Das Verhandlungsteam sei in der ägyptischen Hauptstadt Kairo eingetroffen und habe die Anweisung, "fest auf die notwendigen Bedingungen" zu bestehen, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen, erklärte Israels Regierungschef Netanjahu.

Sein Verteidigungsminister Joav Gallant erklärte, Israel sei für die Freilassung der Geiseln zu "Kompromissen" bereit. Wenn aber "diese Option nicht verfügbar ist, werden wir den Einsatz intensivieren", fügte er mit Blick auf den Militäreinsatz im Gazastreifen hinzu.

Das Weiße Haus gab sich derweil zuversichtlich. "Eine genaue Prüfung der Positionen beider Seiten legt nahe, dass sie in der Lage sein sollten, die verbliebenen Gräben zu überwinden", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby.

Hamas-Vertreter hatten zuletzt am Wochenende in der ägyptischen Hauptstadt Kairo Gespräche mit Vermittlern aus Ägypten und Katar geführt. Israel war zunächst nicht in Kairo vertreten, der erhoffte Durchbruch blieb aus.

Am Sonntag war die Hamas-Delegation wieder abgereist, am Montag erklärte die Hamas, dass sie dem Plan der Vermittlerstaaten Ägypten und Katar für eine Waffenruhe zugestimmt habe. Die ägyptische Nachrichtenwebsite "Al-Kahera" mit guten Kontakten zum ägyptischen Geheimdienst berichtete am Dienstagabend, die Delegationen Katars und der USA sprächen derzeit mit der ägyptischen Delegation und der Hamas.

Israel gab an, der Hamas-Vorschlag sei weit von den eigenen wesentlichen Forderungen entfernt - das Land beteilige sich aber dennoch mit einer Delegation an den Gesprächen in Kairo. Ein ranghoher Hamas-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, warnte, die Verhandlungen seien Israels "letzte Chance" für eine Freilassung der israelischen Geiseln.

International herrschte indes große Sorge angesichts des militärischen Geschehens im Gazastreifen. UN-Generalsekretär António Guterres gab sich "beunruhigt und erschüttert" und forderte Israel dazu auf, die Grenzübergänge zum Gazastreifen umgehend wieder zu öffnen und "jede Eskalation zu stoppen".

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erneuerte ihre eindringlichen Warnungen "vor einer Großoffensive auf Rafah". "Eine Million Menschen können sich nicht in Luft auflösen", erklärte sie im Onlinedienst X.  Auch müssten die Grenzübergänge Rafah und Kerem Schalom "unverzüglich" wieder geöffnet werden.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warnte vor einer hohen Zahl ziviler Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung. Die belgische Entwicklungsministerin und amtierende EU-Ratsvorsitzende Caroline Gennez brachte EU-Sanktionen gegen Israel ins Gespräch. Das chinesische Außenministerium rief Israel "nachdrücklich" auf, die "Angriffe auf Rafah einzustellen".

Ägypten forderte Israel zu "größter Zurückhaltung" auf. Auch Frankreichs Außenministerium bekräftigte seine entschiedene Ablehnung einer Offensive in Rafah: Die Zwangsvertreibung einer Zivilbevölkerung "stellt im Sinne des Völkerrechts ein Kriegsverbrechen dar", gab das Ministerium an.

Die israelische Offensive im Gazastreifen war durch den beispiellosen Großangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1170 Menschen getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. 

Durch die anschließenden israelischen Angriffe im Gazastreifen wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, inzwischen mehr als 34.700 Menschen getötet.

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